Reise nach Jerusalem in der Falkenseer Stadtverordnetenversammlung: Am 27. Januar enthob die SVV den stellvertretenden Vorsitzenden des Stadtparlaments – den parteilosen Thomas Fuhl – in einer geheimen Abstimmung seines Postens und wählte stattdessen CDU-Mann Rainer Ganser auf diesen Platz. Diese Gelegenheit nutzte die 2. Stellvertreterin Karoline Hintz – und legte ihr Amt nieder.
In der Falkenseer Stadtverordnetenversammlung (SVV) wird oft stundenlang gerungen. Da geht es um neue Stellen in der Verwaltung, um die ehrenamtliche Betätigung der Bürger, um die optimale Verwendung der vorhandenen Gelder, um geplante Baumaßnahmen oder um andere drängende Probleme, die gemeinschaftlich zu lösen sind. Mit Blick auf die Uhr bleibt dabei kaum Zeit, um auch einmal nach rechts oder links zu schauen.
Da ist es erfreulich, dass die Fraktionen, die zuletzt sehr viel miteinander gestritten haben, zunehmend wieder zueinander finden. Sie sprechen sich wieder vor den SVV-Sitzungen ab, loten bereits vorab gemeinsame Wege aus und stellen viele parteiübergreifende Anträge, die auch nicht mehr ewig ausdiskutiert werden müssen.
Am 27. Januar waren sich die Fraktionen Bündnis90/DieGrünen, CDU, SPD, FDP, Freie Wähler und IdJ feat. PPPTHBH in diesem Sinne sehr einig: Der Thomas Fuhl, der muss weg. Ihr gemeinsamer Antrag hieß auch ganz eindeutig: „Abwahl des 1. Stellvertreters (Thomas Fuhl) der Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung.“
Thomas Fuhl ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten von Falkensee. Seit 1990 sitzt der geborene Falkenseer ununterbrochen in der SVV der Gartenstadt – die meiste Zeit für die CDU. Er spricht die Sprache des einfachen Mannes von der Strasse, packt gerne mit beiden Händen Aufgaben an, ist eine Frohnatur und liebt es, überall ganz vorne mit dabei zu sein.
Allerdings plakt den Lokalpolitiker immer wieder der Ehrgeiz. Bürgermeister anstelle des Bürgermeisters wollte er schon einmal werden. Bei der Landratswahl 2016 trat er als Einzelbewerber gegen den von der CDU aufgestellten Roger Lewandowski an. Dabei verlor er nicht nur die Wahl, sondern auch das Wohlwollen seiner Partei. Das gewann er auch nicht wirklich zurück, als er sich 2019 erneut als Einzelbewerber aufstellen ließ – und dieses Mal gegen die CDU-nominierte Barbara Richstein für ein Direktmandat bei der Landtagswahl antrat. Thomas Fuhl verlor erneut. Übrigens auch seine Parteizugehörigkeit: Die CDU warf ihn „wegen parteischädigenden Verhaltens“ aus ihren Reihen, fortan gilt Thomas Fuhl als parteilos.
Aber: Zu dieser Zeit saß Thomas Fuhl noch immer in der SVV von Falkensee. Und vor seinem Rausschmiss aus der CDU wählte die Partei ihn sogar noch im Mai 2019 zum Stellvertreter der SVV-Vorsitzenden Julia Concu – und setzte ihn auf diese Weise direkt aufs Podium. Das war im Nachgang eine ärgerliche Situation für die CDU, die bereits im September 2019 vehement versuchte, Thomas Fuhl wieder aus seinem besonderen Amt zu heben. Ein entsprechender Antrag der CDU wurde von den anderen Parteien nicht mitgetragen: Thomas Fuhl blieb.
Und dann kam der 9. Dezember 2020. Der AfD-Abgeordnete André Graf wollte an diesem SVV-Abend die Stadthalle ohne Maske betreten. Julia Concu als Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung verweigerte ihm den Zutritt und verlangte, der geltenden Eindämmungsverordnung folgend, ein Attest im Original. Selbst eine Maske, die nur den Mund, nicht aber die Nase bedeckte, reichte der Vorsitzenden als Kompromisslösung nicht aus. Die Polizei wurde gerufen, es gab viel Tumult im Flur vor dem Sitzungssaal – und Thomas Fuhl war über das Vorgehen vor Ort alles andere als erfreut. In der Folge war er über das kompromisslose Vorgehen seiner Vorsitzenden gar so erbost, dass er seinen Platz auf dem Podium räumte und demonstrativ die Stadthalle verließ – und das mitten in der laufenden Sitzung.
Dieses Verhalten wurde von den Fraktionen als ungebührlich und respektlos gewertet. Im Antrag zur „Abwahl des Stellv. Vorsitzenden“ stand zu lesen: „Dieses Verhalten hat das Vertrauensverhältnis beschädigt.“
Vor Ort nutzten viele SVV-Mitglieder noch einmal die Gelegenheit für klare Worte. Hans-Peter Pohl (CDU): „Wer am 9, Dezember dabei war und das miterlebt hat, weiß: So geht das nicht.“ Anne von Fircks (Bündnis90/DieGrünen) sagte: „Für uns ist es extrem wichtig, dass das Präsidium gut funktioniert. Wir brauchen ein gutes Team da oben.“ Persönliche Worte fand immerhin Udo Appenzeller (SPD): „Thomas Fuhl, ich kenne dich seit 1990. Wir haben super zusammengearbeitet, auch über Fraktionen hinweg. Die Konsequenzen deines Tuns musst du leider tragen, als Mensch bleibst du mir aber weiterhin sehr nah.“
André Graf von der AfD sah Thomas Fuhl im Recht. Er äußerte die Auffassung, dass das Recht auf Anwesenheit eines SVV-Mitgliedes höher zu bewerten sei als die Vorgabe, ein Attest im Original vorweisen zu müssen. Ganz in diesem Sinne sei sein Ausschluss rechtswidrig gewesen – und eine klare Kompetenzüberschreitung. Die Kommunalaufsicht sei eingeschaltet. Er warf ein, dass es verwerflich sei, die Kritiker eines Rechtsbruchs einfach abzuwählen.
Julia Concu berichtete am Rand der Veranstaltung: „Ich habe bereits am nächsten Morgen einen Brief vom Ministerium erhalten, der schriftlich bestätigte, dass ein Attest nur im Original zu akzeptieren sei.“
Bürgermeister Heiko Müller merkte ergänzend an, dass auch er als Hausherr der Stadthalle ein eigenes Hygienekonzept habe, laut dem das Tragen einer Maske nur bei Vorlage eines Originalattests ausgesetzt werden könne. Doppelt hält besser.
Man räumte Thomas Fuhl anschließend die Chance ein, sich selbst zu erklären. Das machte er sehr gut und so eloquent wie immer. So gab er zu bedenken, dass er als Mitglied des Präsidiums stets für Kompromisse einstehe. Und ein solcher Kompromiss wäre es eben auch gewesen, den Mann von der AfD mit nur halb aufgesetzter Maske die wenigen Schritte bis zum Sitzplatz laufen zu lassen – wo dann ja keine Maskenpflicht mehr gelten würde.
Julia Concu dazu: „Thomas Fuhl hatte in der vorletzten SVV von mir den Auftrag erhalten, André Graf hereinzugeleiten, wenn er denn das erforderte Attest beibringt. Er hatte nicht den Auftrag, einen Kompromiss zu verhandeln. Das hat er missverstanden.“
Thomas Fuhl übertrieb es am Ende aber wieder, als er plötzlich 48 Redebeiträge à drei Minuten ankündigte, um ein letztes Mal seine Kritik an der SVV zu äußern, schließlich habe er ja keine Redezeitbegrenzung und oft genug in der Vergangenheit auf einen Wortbeitrag verzichtet. Erst ein Antrag von Hans-Peter Pohl sorgte für eine Begrenzung der Redezeit auf drei Minuten. Thomas Fuhl: „Wenn es gewünscht wird, dass ich meine Position ad hoc verlassen soll, dann nehme ich das so hin.“
In einer geheimen Wahl stimmten 21 Abgeordnete für die Absetzung, zwei enthielten sich, sieben stimmten dagegen. Julia Concu zu Thomas Fuhl: „Ich danke dir trotzdem für die Zeit hier oben im Präsidium.“ Thomas Fuhl zog mit seinem Platz in die flache Halle um, verließ aber kurz darauf die SVV und auch die Stadthalle.
Anschließend wurde Rainer Ganser (CDU) als Nachfolger für die Position des stellvertretenden Vorsitzenden gewählt – und zwar mit 18 Ja- und 8 Nein-Stimmen sowie 4 Enthaltungen. Julia Concu: „Ich freue mich auf ein bisschen mehr Unterstützung beim Anleiten der Sitzungen.“
Für noch mehr Stühlerücken sorgte am gleichen Abend Karoline Hintz (Die Partei) als 2. Stellvertreterin von Julia Concu. Sie war per Videokonferenz von Zuhause aus zugeschaltet. Überraschend für alle setzte sie sich plötzlich eine Spaßbrille auf und verkündete: „Vor über einem Jahr kandidierte ich fürs Präsidium, da der Posten der stellvertretenden stellvertretenden Vorsitzenden unserer schönen SVV viel Prestige bei gleichzeitig geringer Verantwortung mit sich bringt und weil ich dachte, dort oben auf dem Podium neben zwei glamourösen Machtmenschen sei ich in bester Gesellschaft.“
Die Wirren um Mundschutz, Corona und Polizeieinsatz machten ihr anscheinend zu schaffen: „Das ist mir alles zu unseriös. Ich möchte nicht Gefahr laufen, meine Reputation zu beschädigen. Daher (…) räume ich meinen heute bereits symbolisch leeren Sitz. Ich nehme meinen Hut, werfe das Handtuch und die Flinte ins Korn. Ich kündige meinen Posten als stellvertretende stellvertretende Vorsitzende mit sofortiger Wirkung.“
Die SVV nahm die skurrile Kündigung zur Kenntnis. Eine Nachfolge – wohl aus dem Kreis der SPD – kann aber erst auf der nächsten SVV gewählt werden. (Text/Fotos: CS – Foto von Thomas Fuhl ist ein Archivfoto von der Landtagswahl)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 180 (3/2021).
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