Es ist der 11. Januar im frisch angebrochenen Jahr 2021. Die Corona-Infektionsfälle im Havelland erreichen nie gekannte Höhen. Viele Geschäfte des Einzelhandels dürfen nicht öffnen, auch die Restaurants haben geschlossen. Die Bevölkerung befindet sich im Lockdown. Die Kontakte sind beschränkt. Hinzu kommt, dass es ohne wichtigen Grund nicht mehr erlaubt ist, sich mehr als 15 Kilometer vom eigenen Wohnort zu entfernen.
So eine Situation gab es in Deutschland noch nie. Thomas Fuhl, parteiloser Stadtverordneter aus Falkensee, mahnt in diesem Zusammenhang an, „jetzt bloß nicht den Zusammenhalt zu verlieren“. Er erzählt: „Ich bin zufällig auf eine Gruppe von Menschen getroffen, die ein Friedenslicht durch Falkensee getragen haben. Das hat mir sehr gut gefallen – und ich habe mich der Sache angeschlossen.“
Am 4. Januar ging der Kerzen-Spaziergang wohl etwas schief. Über 50 Leute trafen sich vor dem Falkenseer Rathaus, um zu Fuß zum Bahnhof zu laufen. Die Polizei erschien, um die nicht angemeldete Demo aufzulösen. Doch die Kerzenträger, die sich eigentlich nur auf einem Spaziergang wähnten, gingen nicht nach Hause, sondern teilten sich vorerst nur in mehrere Grüppchen auf. Eins davon landete vor der Privatwohnung von Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher in Falkensee. Wollten die Demonstranten nur das Licht der Liebe in Nonnemachers Haus tragen – oder dabei auch gleich noch gegen die aktuellen Corona-Maßnahmen demonstrieren? So oder so ist es ein politisches NoGo, vor der Privatadresse eines Politikers aufzumarschieren.
Thomas Fuhl: „Die aktuelle Situation fühlt sich zurzeit an wie 1989. Nur dass es damals ein klares Ziel gab.“
Die ersten beiden Veranstaltungen, die das vordergründige Ziel haben, ein christliches Friedenslicht auf den Weg zu bringen, wurden von einer Frau namens Heike aus Dallgow-Döberitz initialisiert, die kurz nach Weihnachten einen Telegram-Chat namens „Das HAVELLAND steht AUF“ mit inzwischen 138 Mitgliedern (Stand 12. Januar) ins Leben gerufen hat.
Thomas Fuhl beschließt, dieser Organisatorin beizustehen und die Veranstaltung in seinem Namen offiziell als religiöse Andacht anzumelden, sodass sie eine richtige Erlaubnis bekommt. Der Stadtverordnete ist sehr aktiv in der Kirche und holt sich für die Anmeldung der öffentlichen Andacht laut eigener Aussage sogar die „Erlaubnis und den Segen“ seines zuständigen Pastors aus Spandau.
Am 11. November um 18 Uhr soll es am Falkenseer Anger zwischen dem Haus am Anger, der Kirche und dem Denkmal für die Gefallenen Soldaten des ersten Weltkrieges zu einer religiösen Veranstaltung kommen. Die Polizei ist mit mehreren Einsatzfahrzeugen und vielen Kräften vor Ort, um nach dem Rechten zu sehen. Etwa 30 Personen finden sich vor Ort ein – alle mit Mundschutz und mit dem gebotenen Abstand. Darauf achtet die Polizei, die sich auch die schriftliche Erlaubnis zur Durchführung der Veranstaltung zeigen lässt. Auch das Falkenseer Ordnungsamt ist da.
Thomas Fuhl stellt sich den Anwesenden vor: „Ich bin Falkenseer seit 1963. Ich bin der dienstälteste Abgeordnete der Stadt Falkensee und seit der Wende ununterbrochen wiedergewählt worden. Ich bin aber wegen Undiszipliniertheiten und anderer Kavaliersdelikte vor zwei Jahren aus der CDU rausgeworfen worden, also partei- und fraktionslos.“
Am 11. Januar beschwört Thomas Fuhl „das Licht von Bethlehem, das innerhalb von sechs Wochen nach Falkensee getragen wurde und hier am 2. Advent angekommen ist“. Die Gäste werden gebeten, auch ein Licht anzuzünden, auf dass „wir durch das Zeichen einer Kerze miteinander verbunden sind.“
Diese religiöse Veranstaltung soll zu einer festen Einrichtung am Falkenseer Anger werden. Thomas Fuhl: „Wir wollen das jetzt jede Woche machen – und gehen davon aus, dass es jede Woche mehr werden. Eigentlich möchte ich, dass in drei, vier Wochen um den Angerteich herum alles Licht wird. Das kann ja so schwierig nicht sein für Falkensee. Wir sind ja schließlich 40.000 Leute und wenn wir noch 15 Kilometer hinzuzählen, dann haben wir ja auch noch halb Spandau mit dabei.“
Thomas Fuhl beschwört die Religion und bittet die Anwesenden: „Wir wollen unbedingt, dass hiervon ein friedliches Zeichen ausgeht.“
Organisatorin Heike aus Dallgow-Döberitz ergreift das Wort: „Ich habe mir vor einigen Wochen gedacht, wenn wir alle einsam auf der Couch sitzen, wird die Situation ja nicht besser. Wir müssen uns etwas überlegen. Und ja, ich bin bei Telegram, und habe halt auch die Chats angeguckt, und was ich da vermisst habe, war Frieden. Ich möchte alle vereinen. Es ist jetzt 32 Jahre her, wo die Kirche Ost und West vereint hat. Wir können die gleiche Geschichte noch einmal schreiben. Wir haben die Möglichkeiten, uns mehr zu vernetzen – wir haben jetzt Telegram. Das hatten wir nämlich vor 32 Jahren nicht. Was mein Traum ist: Wir möchten Gläubige, Ungläubige, Männer, Frauen, Kinder, Verschwörungstheoretiker, Schwurbler, Politiker, Manager, Hausfrauen und noch viel mehr vereinen. Niemand soll mehr alleine sein.“
Vordergründig findet am Anger eine rundherum friedliche Veranstaltung statt. Alle tragen Maske und wahren den Abstand, es gibt keine politischen Ausführungen (nur Andeutungen). Und dann singt ein Künstler kirchliche Lieder und alle sprechen zusammen das Vater-unser.
Aber: Telegram hat sich schnell den Ruf als Nachrichtendienst der Schwurbler, Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner erarbeitet, hier sind Aktivisten wie Attila Hildmann und Mitläufer wie der Wendler unterwegs. Schwingt da unter dem rein kirchlichen Treffen noch etwas anderes mit?
Ein deutliches Indiz dafür sind die Zeitungen und Flyer, die wohlsortiert und gleich stapelweise auf einem bereitgestellten Tapeziertisch ausliegen. Ein Flyer schürt Impfangst und warnt vor genetischem Neuland, mitunter gefährlichen Nanopartikeln und natürlich auch vor Bill Gates. Außerdem liegt der „Demokratische Widerstand“ aus. Der möchte „Licht ins Dunkel in Zeiten der totalitäten Staats- und Konzernpropaganda“ bringen. Ist dieses Licht dann wohl auch das, was in den Kerzen der Andachtsteilnehmer brennt? Die Zeitung bietet auch eine „Statistik zur Fake-Seuche“ und schreibt über den „Biopolitik-Terror“.
Darauf angesprochen weicht Thomas Fuhl aus: „Ist diese Zeitung denn verboten?“ Um dann zu sagen: „Ich weiß auch nicht, wer das da hingelegt hat.“
Ein Blick in den Telegram-Kanal „Das HAVELLAND steht AUF“ zeigt auf jeden Fall, dass die Gesinnung zum ausliegenden Material passt. Hier ist nicht mehr so viel von Religion die Rede – und wenn, dann in Anführungszeichen. Da geht es u.a. eher darum, das Impfen nach Kräften zu verteufeln. Zitat: „Es ist doch sehr naheliegend, dass die in den Impfstoff alles mögliche hineintun, damit sie uns kontrollieren oder umbringen können, nur nicht wirklich Impfstoff.“
Auch geht es darum, u.a. einen Massensturm eines Supermarkts ohne Maske anzudenken: „Ich denke mal, so ein Massensturm gerade im (…), der morgens schön voll ist, setzt ein Zeichen bei den Schlafschafen.“ Admin Heike schreibt dazu: „Ich trage eh keine Maske.“
Die große Frage ist: Wo ist Thomas Fuhl da nur reingeraten? Er sagt: „Es gärt überall in Deutschland. Wenn das noch ein paar Monate so weitergeht und die Menschen ihre Häuser und ihre Arbeit verlieren, dann kommt es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.“ (Text/Fotos: CS)
Falkensees Bürgermeister Heiko Müller sagt zu dem vorgestellten Artikel: „Ich bin überrascht und enttäuscht, dass es immer noch Menschen gibt, die vor der dramatischen Situation die Augen zu machen. Mir geht es dabei nicht um politische Statements der Verantwortlichen, sondern um die Situation in den Krankenhäusern und die Angst unzähliger Mitmenschen, an Covid-19 zu erkranken, schwere Nachwirkungen zu haben oder sogar daran zu sterben. Diejenigen, die die Dramatik der Pandemie leugnen oder herunterspielen, haben sich offensichtlich nicht über die Nöte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenhäusern informiert. Und selbst wenn die persönlichen Kontakte stark eingeschränkt sind, kennt eigentlich jede und jeder unterdessen Familien, die von Corona betroffen sind. Wer das alles als Unfug abtut, handelt unverantwortlich. Völlig inakzeptabel ist, den Schutz der Religionen in Deutschland dazu zu missbrauchen, notwendige Regeln des Gesundheitsschutzes auszuhebeln. Eine Demonstration wird nicht zu einer religiösen Veranstaltung, weil man sie so nennt oder jemand das „Vaterunser“ vorliest. Gegebenenfalls sind hier Klarstellungen durch den Gesetzgeber oder Gerichte erforderlich.“
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 179 (2/2021).
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